Hospitation an der „Hojskole på Kalø“ Dänemark

von K. H.

Montag, 25. März 2019

Nach nur 3 Stunden Fahrt von Dithmarschen zur Hojskole in das dänische Örtchen Kalø, das bei Århus liegt, wurde ich an der Hojskole sehr nett von dem Dänischlehrer Torkild empfangen. Mit ihm hatte ich schon vor der Anreise öfter telefoniert und meinen Aufenthalt geplant. Da die Schule ihren Schülerinnen und Schülern Unterkünfte für die Dauer ihres Kurses anbietet, kann auch ich hier für meine kommenden 5 Tage wohnen. Torkild nahm mich gleich zum gemeinsamen Abendessen mit, bei dem ich einige der Schülerinnen und Schüler kennenlernen konnte. Die meisten sind zwischen 18 und 30 Jahren alt, und sind aus Japan, Australien, England, Iran oder Grönland zum Dänischlernen nach Kalø gekommen. Viele von ihnen besuchen hier Kurse, die bis zu 6 Monate dauern. Zu den längeren Kursen gehört auch das „Outdoor Ranger“-Programm, in dem die Teilnehmenden (vorwiegend Dänen) lernen, mit einfachen Mitteln in der freien Natur zu (über)leben, wie Feuermachen ohne gängige Hilfsmittel, sowie Jagen und Fischen funktionieren, um einige Zeit draußen leben zu können. David, einer der Outdoor-Lehrer, erklärt mir, dass es immer beliebter werde, in seiner Freizeit ein ganz einfaches Leben in der freien Natur zu leben. Freie Unterkünfte mitten in der Natur wären mittlerweile Gang und Gäbe in Dänemark, entsprechende Fernsehformate würden ihr Übriges tun, dass das „Outdoor-Life“ frei von irgendwelchen innovativen Hilfsmitteln draußen so gefragt ist, besonders bei denen, „die viel am Computer arbeiten“, wie er sagt. Interessanter Aspekt, denke ich mir, da ich mich ja in dieser Woche besonders mit Technik und Digitalisierung in der Erwachsenenbildung beschäftigen will.

Am Montagmorgen lerne ich gleich nach dem Frühstück das morgendliche Ritual kennen, das mir richtig gut gefällt: Alle Schülerinnen und Schüler versammeln sich in einer großen Aula. Zuerst singen alle ein gemeinsames dänisches Lied mit Gitarrenbegleitung, dann hat Simon, einer der Lehrer, einen kurzen Vortrag über „magt“ (Macht) vorbereitet und erzählt von der bevorstehenden Parlamentswahl im Juni. Ich verstehe natürlich nicht so viel, sehe aber, wie aufmerksam ihm alle zuhören. Nach einer Viertelstunde verabschiedet Simon alle in den Tag und ich treffe einige Schülerinnen und Schüler in einer der Dänischklassen wieder. Torkild setzt mich zwischen die Schüler, und es wird anhand eines Fragenkatalogs ein Dialog geübt. Ganz analog, und mit dem Hintergrund, dass sich immer mehr das freie Sprechen zutrauen sollen, ohne dabei direkt vor allen in der Klasse sprechen zu müssen.

Nach dem Mittagessen nimmt sich Schulleiter Søren viel Zeit für mich. Wir tauschen uns über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten dänischer und deutscher Erwachsenenbildungseinrichtungen aus. Seit die Dänen in der letzten Parlamentswahl den Rechtspopulisten zu einem solchen Stimmenzuwachs verholfen haben, dass sie seither zum Rückgrat des Ministerpräsidenten Rasmussen geworden sind, haben zahlreiche Asyl- und aufenthaltsrechtliche Verschärfungen auch die Situation von Sprachschulen wie der Hojskole in Kalø verschlechtert. Geflüchtete dürfen nun nicht mehr hier lernen, sondern sind auf das Lernsystem der FVU (Forberedende voksenundervisning; Vorbereitende Erwachsenenbildung) angewiesen, das nicht an allen Schulen angeboten wird. Kalø Hojskole unterrichtet nach dem System des DU, der Danskuddannelse, zu Deutsch „Dänischausbildung“. Die Schule versteht sich aber als Bildungseinrichtung für alle und weiß, dass viele Zugewanderte aus der Region gern in Kalø lernen würden. Trotz dieser Verschärfungen sei das Bildungssystem Dänemarks sehr frei: Niemand würde ihm Vorschriften machen, was seine Schule zu unterrichten hätte, wie seine Klassen ausgestaltet sein müssten, womit unterrichtet werde. Das würde ihm sehr gefallen.

Nach unserem Gespräch kann ich eine weitere Dänischklasse besuchen und stelle in der Pause fest, dass die in einem hinteren Teil des gemütlichen Dachgeschossraumes verstauten E-Gitarren tatsächlich genutzt werden: Nämlich von einigen australischen Schülern, die einfach darauf ihr Können zum Besten geben!

Bevor es zum Abendessen geht, schaffe ich es noch zu einem kleinen Spaziergang zu einer Schlossruine mitten auf einer nur zu Fuß zugänglichen Halbinsel, die wirklich recht abgeschieden liegt. Das Hinweisschild auf dem Parkplatz in der Nähe zur Ruine ist leider nur auf Dänisch, doch nicht schlimm: Denn das Free Wifi-Zeichen am Fußweg lässt mich mal eben schnell eine Internetsuche starten!

Fazit: Ich möchte definitiv mehr erfahren über die Diskussionen, die Dänemark in Bezug auf Digitalisierung, Bildung und entsprechende Kursangebote zu führen scheint.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 26. März 2019

Mein „zweiter Schultag“ beginnt wieder mit gemeinsamem Singen und einem Kurzvortrag zur Morgenversammlung. Dieses Mal berichtet Torkild von dem Künstler Christian Lemmerz, und bringt mit seiner anschaulichen Erzählung des provokanten Künstlers alle zum Lachen. Auch ich verstehe manches, lasse mir aber das eine oder andere Detail trotzdem lieber mal übersetzen, schließlich rate ich mehr, als dass ich verstehe…!

Heute begleite ich Michael in seinen Dänisch Unterricht, wo es u.a. um die Verwendung der Konjunktionen „at“ und „om“ geht. Auch in seiner Klasse steht die Kommunikation untereinander im Mittelpunkt, Michael ist steht die ganze Zeit mitten in der Klasse, scheint jeden einzelnen komplett mit einzubeziehen und hält die Klasse wirklich zwei Mal ganze 90 Minuten „bei Laune“ und konzentriert, dass ich schon beeindruckt bin. Es wird viel gelacht, die Stimmung ist richtig gut.

Nach dem Mittagessen habe ich die Möglichkeit, einige Schülerinnen aus Japan „zu interviewen“, was ihnen an der Kalø Hojskole gefällt, wieso sie sich Dänemark als Gastland ausgesucht haben und worin sich das Lernen in Kalø von japanischen Bildungseinrichtungen unterscheidet. Schnell erzählen sie, dass sie sehr viel gearbeitet haben in Japan. Direkt nach der Uni sind sie in Unternehmen eingestiegen, wo sie nicht selten 60 Stunden in der Woche gearbeitet haben, meistens am Computer. Sie sind erst 26 Jahre alt, wussten aber, dass sie dieses Pensum einfach nicht lange aushalten werden. Sie alle kannten sich nicht, als sie nach Dänemark kamen, haben aber witziger Weise alle über den Reiseblog eines Japaners von der Kalø Hojskole erfahren. Hier schätzen sie das angenehme Lernklima, die Lehrer, die nicht einfach nur nach Schema-F unterrichten, sondern sich intensiv um ihre Schülerinnen und Schüler kümmern. Jemand erscheint nicht wie gewohnt zum Unterricht? Die Lehrer haken nach und gehen der Ursache auf den Grund.

Eine Japanerin hat als Erzieherin in Dänemark gearbeitet und möchte ihren Job unbedingt in Dänemark wiederaufnehmen. Der Lehrer Simon hat ihr einen Praktikumsplatz in der Nähe vermittelt, und sie hofft, dass sie hier Fuß fassen kann.

Mit Simon kann ich nachmittags ein längeres Gespräch führen, dass mir noch einmal viele wichtige Informationen gibt. Die Kalø Hojskole unterscheidet sich wirklich sehr von anderen Bildungseinrichtungen für Erwachsene. Wie auch Schulleiter Søren erklärt mir Simon, dass die Freiheit, was wann unterrichtet wird, einen großen Vorteil darstellt. Sie würden ihr Curriculum jährlich ändern; von Monat zu Monat werden die Themen des Dänisch Unterrichts außerdem neu festgelegt, und zwar unter Einbeziehung der Interessen und Wünschen der Schülerinnen und Schüler. Diejenigen, die vorher eine anderen Hojskole besucht haben, hätten zuerst mit der Freiheit beim Lernen größere Schwierigkeiten, würden fragen, welche Übungen genau sie bearbeiten müssten, um im Test gut abzuschneiden. Doch Prüfungen gibt es in Kalø nicht. Die Schule arbeitet nach dem Grundsatz: „Wir helfen dir, dass du lernen kannst. Aber wir lernen nicht für dich. Du sollst selbstständig sein und werden, und für dich selbst lernen.“ Wer ein Dänisch Zertifikat erwerben wolle, müsse den Test an einer anderen Schule absolvieren. Viele Schülerinnen und Schüler stellten nach einer Weile fest, dass das freiere Lernen ihnen viel mehr Spaß bringe, sie schneller Fortschritte machten und sinnvolles für den Alltag lernten. Simon ist stolz darauf, dass nicht ein bestimmtes Rahmencurriculum den Takt vorgibt, sondern der Mensch im Mittelpunkt steht. Die Lehrer, die hier unterrichten, müssten keine studierten Lehrkräfte sein; es zähle ihre Persönlichkeit und ihr Enthusiasmus fürs Lehren und Lernen. Er selbst habe als Entwicklungshelfer in Sierra Leone gearbeitet, und habe sich durch das Stellenangebot in Kalø gleich angesprochen gefühlt. Ich merke, hier brennt jemand für die Sache! Ich bin froh und dankbar, dass ich mich so intensiv mit den Lehrern hier austauschen und wirklich pädagogische Ansätze diskutieren und reflektieren kann.

 

Am heutigen Abend gibt es noch einen Kurzvortrag von Kristian Krog, Direktor der umgebauten „Maltfabrikken“ (Malzfabrik) in Ebeltoft, einem Städtchen in der Nähe von Kalø. Die ehemalige Malzfabrik dominiert seit 1861 das Stadtbild, und drohte vor ein paar Jahren abgerissen und durch ein modernes Shoppingcenter ersetzt zu werden. Kristian Krog generierte mit einer Reihe von Helfern so viele Gelder, dass sie binnen eines Jahres als Genossenschaft das riesige Fabrikgebäude gekauft und für etliche Millionen in den Jahren danach renoviert haben. Das spannende daran: Er hat dafür keine staatlichen Hilfen oder EU-Fördergelder erhalten, sondern schlichtweg Fundraising betrieben, und ein Konzept entwickelt, mit dem sich das Gebäude nun selbst tragen soll: Die Maltfabrikken beinhaltet eine u.a. eine Konzerthalle, Cafés und Restaurants, Büroräume und Kreativarbeitsplätze, Jugendtreffs, Wohnungen für Künstlerinnen und Künstler. Die Büroräume sind als „coworking spaces“ ausgerichtet, natürlich mit grenzenlosem WLAN…  Hunderte Freiwillige bringen sich nach wie vor mit Zeit und Ideen ein. Ziel der Renovierung ist es auch, junge Leute nach Ebeltoft zu ziehen, denn die Bevölkerungsstruktur zeigt einen hohen Anteil an Menschen über 65 Jahren.

Übermorgen werde ich mir die Fabrik – zumindest von außen, Eröffnung ist erst Ende Juli – und Ebeltoft selbst auf jeden Fall mal ansehen. http://www.dennymaltfabrik.dk

Nach dem Vortrag treffen sich alle wieder im Speisesaal, es gibt Kammerjunkere mit Koldskål, buttrige Kekse mit einem flüssigen, gesüßten Jogurt! Lecker, so zum Tagesabschluss

 

 

 

 

 

 

Mittwoch, 27. März 2019

„Es ist einfach da!“

Wie arbeiten andere Højskolen in Dänemark? Welche digitalen Techniken setzen sie im Unterricht ein? Eine Einrichtung, die ich heute den Tag über besuchen kann, ist die Lærdansk. Eine Lærdansk gibt es in Rønde, ca. 10 Minuten entfernt. Dort treffe ich morgens Anne, die mich gleich sehr freundlich begrüßt und wir uns im gemütlichen, großzügigen Lehrerzimmer über „unsere Schulen“ austauschen. Ich erzähle von der vhs.cloud – nichts Neues für sie, seit Jahren arbeiten sie selbst nicht nur mit Smartboards, sondern natürlich auch mit einer cloud, und zwar GoogleDrive.

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Vor einigen Jahren hat der Dachverband der Lærdansk beschlossen, die erforderlichen technischen Geräte anzuschaffen, seither sind alle Schulen bestens ausgestattet. Und somit bin ich sehr gespannt, als wir gemeinsam in einen der Unterrichtsräume gehen, wo schon die Schülerinnen und Schüler auf ihren Dänischunterricht warten.

An der Wand prangt ein großes Smartboard (wie auch in den anderen Räumen), das Anne gleich einschaltet. Aus einem Schrank mit 20 Schließfächern holen sich die Schülerinnen und Schüler je einen Laptop und Kopfhörer. In der Mitte des Raumes ist ein Steckdosenturm mit Rollen für die Laptopkabel. Während alle ihre PC’s an den Strom anschließen, öffnet Anne die erforderlichen Plattformen: Lærdansk arbeitet mit „EduLife“, ein Programm, auf das sie über GoogleDrive zugreifen. Die Schülerinnen und Schüler loggen sich ebenfalls ein, und Anne startet auch schon die erste Aufgabe über eine weitere Seite, mit der sie häufig arbeitet: https://padlet.com. Es sollen in einfachen Sätzen „Fremtidsplaner“, Zukunftspläne, beschrieben werden.

Nun bin ich gespannt, denn alle schreiben an ihren Laptops eifrig drauf los. Ich gehe herum und schaue mir an, woran alle arbeiten, und kann gleichzeitig direkt vorn am Smartboard die Arbeitsergebnisse über padlet.com sehen. Die einzelnen Texte erscheinen auf der Bildoberfläche, mit Namen des Schülers/ der Schülerin und sind so für alle sicht- und vergleichbar. Änderungen werden ebenfalls zeitglich angezeigt. Aenne erklärt mir, dass alles gespeichert ist und sie jederzeit die alten „Folien“ wieder aufrufen kann. Obwohl die Laptoparbeit natürlich den meisten Raum einnimmt, findet über das Smartboard sehr viel Kommunikation statt. Es wird immer mal wieder was vorgelesen, korrigiert, diskutiert, gelacht, als ein Bild von Christiano Ronaldo unter dem Text eines Schülers erscheint. Als Anne und ich in die Mittagspause gehen, lässt sie den Raum offen, und die Schüler bleiben an ihren Laptops sitzen. Nichts wird ein- oder weggeschlossen.

Ich lerne nun zwei weitere Lehrerinnen kennen und es entwickelt sich ein richtig interessanter Austausch über Lernformen, Methoden und Veränderungsprozesse. Am Anfang, erzählen alle, hätten sie auch Berührungsängste mit den Smartboards gehabt. Und ja, es hätten auch einige mit Boardmarkern auf das Smartboard geschrieben… Als so viele Geflüchtete nach Dänemark und damit auch in die Lærdansk kamen, ist doch auch manchmal das WLAN bei so vielen Nutzer zusammengebrochen. Doch das habe sich mittlerweile geändert, die Technik funktioniert, und wenn doch mal was nicht nach Plan läuft, können sie einen Techniker anrufen. Als Lehrkräfte empfänden sie die Technik mittlerweile normal, sie könnten sich gar nicht mehr vorstellen, ohne zu unterrichten. „Es ist einfach da!“, sagt Anne, und unterstreicht damit die Selbstverständlichkeit des Technikeinsatzes.

Für die Schülerinnen und Schüler sei es wichtig, mit Laptops und Smartboard zu arbeiten, denn schließlich würden sie außerhalb der Schule in der Arbeitswelt auch nicht mehr ohne Technik klarkommen können. Warum nicht also gleich nebenbei üben, damit umzugehen? Es habe sich im Übrigen gar nicht die Frage gestellt, ob jemand von ihnen komplett analog arbeiten wolle, denn ihr Verband hat vor einigen Jahren mehr oder weniger „diktiert“, dass von nun an „digital“ gearbeitet werden müsse.

Wir kommen nach der Pause in den Raum zurück und es geht auf die Prüfungsvorbereitung zu. Anne sammelt in einem neuen Dokument am Smartboard (mit dem richtigen Stift ;-)) die Vermutungen der Schülerinnen und Schüler, welche Themen wohl in der kommenden Modulprüfung abgefragt werden. Sie zeigt mir, dass sie in dem Textdokument unendlich viel schreiben, aber auch einfach neue Seiten aufrufen kann. Zur Navigation nutzt sie entweder die Tastatur mit Touchpad oder klickt mit dem Finger auf Felder, um die Schrift z.B. zu vergrößern oder zu verkleinern.

Dann ruft sie erneut EduLife auf, wo sie die Schülerinnen und Schüler auf einer Art Pinnwand noch einmal längere Texte schreiben lässt. Ich bin fasziniert: Sie ruft sich den Text eines Schülers ans Smartboard auf, markiert falsche Textstellen, unterlegt sie mit einem Kommentar („Achtung: Rechtschreibung!“, „hier Infinitiv“ oder „bitte Satzbau beachten“) und der Schüler korrigiert es sofort und sichtbar für alle über seinen account. Dann wird reihum vorgelesen, und die anderen können über das Smartboard mitlesen und eigene Kommentare dazu abgeben.

Bringt die teure Technik nun den gewünschten Erfolg, will ich von Anne wissen. Sie ist überzeugt, dass sich die Anschaffungen gelohnt haben. Die Schüler seien souverän im Umgang mit Laptops und cloud-Plattformen. Der Unterricht könne „demokratisiert“ werden, denn alle hätten an allem Teil, jeder kann sich einbringen, Fehlerkorrektur kann sofort und für alle sichtbar passieren, und wenn sie will, kann sie auch nach dem Unterricht mit den Schülerinnen und Schülern über EduLife in Kontakt treten. Im Prinzip könnten sie komplett papierlos unterrichten, haben jedoch nicht alle Lehrbuchlizenzen, um die Online-Versionen ihrer Bücher aufrufen zu können.

Sicher, sie könnte auch mit Laptop und Beamer arbeiten, sagt sie, aber gerade die Vernetzung über die Plattformen und das Speichern und Aufrufen direkt an der Wand seien einfach großartige Möglichkeiten. Der Umgang mit einem Google-Dienst steht überhaupt nicht zur Debatte, Anne und ihre Kolleginnen sehen in den Funktionen einfach nur Vorteile.

Ich fahre am späten Nachmittag nach Hause und überlege mir schon, wie sich meine Erkenntnisse bei uns umsetzen lassen.

 

Donnerstag, 28. März 2019

Den heutigen Tag verbringe ich wieder an einer Schule der Einrichtung „Lærdansk“, allerdings in Århus. Dort erwartet mich morgens Marianne, die Leiterin der Schule. Schon beim Betreten des großen Gebäudes bin ich beeindruckt: Denn ich trete in ein großes, rundes, helles Foyer mit einem großen Empfangstresen, Büros an den Seiten mit großen Glasscheiben, sodass alles offen wirkt, und kann schon erahnen, dass es nicht nur 12 Unterrichtsräume gibt!

Marianne fragt mich, ob ich mit ihr im Besprechungsraum einen Kaffee trinke und ob ich noch frühstücken möchte (ich habe natürlich schon gefrühstückt, aber wie toll ist denn diese Frage bitte?! Bei uns käme nie jemand auf die Idee, DAS zu fragen!). Im Besprechungsraum prangt ein Smartboard, das sie einschaltet und eine extra für mich angefertigte Powerpoint-Präsentation über ihre Schule und die Lærdansk öffnet. Ganz schön toll, diese Vorbereitung! Und da erfahre ich zum ersten Mal, dass die Lærdansk nicht einfach irgendeine Sprachschule ist. Nein, Lærdansk ist eine NGO, die Sprachschulen in ganz Dänemark unterhält und Entwicklungshilfe in Krisenregionen leistet, in Dänemark Unterkünfte für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge hat und daher ein ganzheitliches Konzept verfolgt: Hilfe vor Ort im Ausland, Hilfe in Dänemark.

Lærdansk hat sich vor einigen Jahren dann auf den Weg gemacht, eigene Unterrichtsmaterialien für den eigenen Dänisch Unterricht zu entwickeln, die unter den Lehrkräften ausgetauscht werden sollen. Für jedes Sprachmodul hat die Einrichtung also passende Materialien. Es stellte sich die Frage, wie diese Materialien untereinander geteilt werden könnten, also war der Bedarf einer cloud gekommen und GoogleDrive war im Boot. Und dann kamen die Smartboards, iPads, iPhones, Laptops und PC’s. Offen gestanden, musste ich mich etwas bemühen, dass mir nicht die Kinnlade herunterfiel: Jede Lehrkraft durfte sich zwei tragbare Geräte zum Ausprobieren mit nach Hause nehmen. Die meisten nahmen einen Laptop und ein iPad. Lehrer, die 3 Monate später kündigten, mussten die Geräte zwar wieder abgeben; alle anderen durften sie aber bis heute behalten! Wahnsinn.

Zum IT-Konzept zählte von Anfang an die Schulung der Lehrkräfte. Es gab sog. „Web2“-Seminare, um den Umgang mit GoogleDrive und EduLife zu erlernen, es gab ein Schulungskonzept der Lehrerinnen und Lehrer untereinander, es gab Lehrproben, es gab Präsentationen, es gab Feedbackgespräche. „It was a long way and cost a lot of ressources“, gibt Marianne zu, doch es habe sich gelohnt. Bei einer kurzen Unterrichtsstippvisite sehe ich, dass sie recht hat: In Windeseile hantiert eine Lehrerin mit dem Smartboard, öffnet hier eine Datei, da ein beschriftbares Dokument, da ein Online-Spiel.

Marianne erzählt mir, dass der Mehrwert für die Schülerinnen und Schüler immer im Vordergrund gestanden hätte. Sie sollten nicht nur Dänisch lernen, sondern auch mit Technik umgehen können. Und die Lehrkräfte sollten es vormachen. Und am Ende spare es allen Zeit. Sie gibt mir viele wertvolle Tipps zum Vorgehen, und reicht mir schon mal ihre Karte, damit ich ihr auch von Heide aus noch Fragen mailen kann!

 

Dass die Lærdansk in Århus nicht nur technologisch beneidenswert gut ausgestattet ist, wird mir beim Rundgang noch einmal deutlich. Im 1. Stock ist eine geräumige Kantine. Im Erdgeschoss sind bis zu 25 Unterrichtsräume (wohlgemerkt: In ALLEN hängt ein Smartboard!), im Keller ist ein riesiges und sehr gemütliches Lehrerzimmer mit einem Ruheraum für zwischendurch (!), daneben befindet sich eine Bibliothek mit mobilen Ausleihstationen, PC-Arbeitsplätzen sowie einem Versammlungsraum und eine Art LernCafé,

 

in dem sich Ehrenamtliche und Dänisch Schüler zum Üben treffen.

Beim Mittagessen kann ich mich mit anderen Lehrkräften austauschen, wie sie den Einzug der Digitalisierung empfunden haben. Am Anfang haben sie sich auch überwinden müssen, sagen sie, doch sie seien ja nicht drum herumgekommen, und hätten sich einfach eingearbeitet. Auch wenn die Smartboards so viele Funktionen bieten würden, dass sie gar nicht alle kennen, könnten sie sich gar nicht mehr vorstellen, ohne zu unterrichten. Ich habe kurz ein Déjà-vu…

Ich mache kurz ’mal wieder die Spielverderberin und frage vorsichtig nach Datenschutz im Umgang mit Google. Sie verstehen mich erst nicht, antworten, dass alle Schülerinnen und Schüler zu Beginn unterschreiben müssen, dass ihr Name auf den Online-Plattformen erscheinen darf. Gut, aber was ist mit Google an sich, möchte ich wissen, schließlich gehört Datensammeln zum Geschäftsmodell? Wieder ungläubige Blicke, dann antwortet eine Lehrerin, dass natürlich irgendwo immer etwas an Daten gesammelt werde, „but, you’ve just got to use google and its apps as a tool!!“

 

Louise, eine der Lehrerinnen, schwärmt mir im weiteren Gespräch von „Kahoot!“ vor, einem Online-Spiel zum Üben von Sprachen. Ich kenne es nicht, und sie lädt mich ein, nachmittags ihre Klasse zu besuchen. So kann ich den ganzen Nachmittag über live miterleben, wie nicht nur ein kleines unterhaltsames Spiel den Unterricht auflockert, sondern wie sie auch hier die share-Funktionen von GoogleApps nutzt, um geschriebene Texte unmittelbar zu korrigieren. Natürlich sitzt in ihrer Klasse jeder an einem Laptop, dennoch lässt sie hin und wieder auch Übungen auf Papier machen. Ich kann auch miterleben, wie die Schülerinnen und Schüler das Smartboard nutzen, als einer ein Referat über „Bier und das deutsche Reinheitsgebot“ hält (warum gucken mich alle so an 😉 ?), und wie selbstverständlich auf dem Smartboard seine Dateien anklickt und auswählt.

Mit Louise spreche ich am späten Nachmittag noch eine Weile, und sie gibt mir wieder einen Satz in puncto Techniknutzung mit, den ich jetzt wirklich schon öfter gehört habe: „In the end, it just saves me a lot of time!“

Völlig angetan von so einer großartigen Ausstattung und einer so selbstverständlichen Technikanwendung verlasse ich die Lærdansk und bin einfach nur dankbar für diesen Ausflug in die Zukunft.

 

Freitag, 29. März 2019

Am heutigen Tag endet mein Aufenthalt in Dänemark und ich bin schon ein bisschen wehmütig, denn ich habe hier wirklich tolle Menschen kennengelernt – und bei allem Schwerpunkt auf Digitalisierung, digitaler Kommunikation und den besten technischen Geräten: Es sind doch immer die Menschen und die persönlichen Gespräche, die man in Erinnerung behält.

Der Tag beginnt wie immer mit einer Versammlung am Morgen, und die Lehrerinnen und Lehrer präsentieren über die große Leinwand das Wochen- und Monatsprogramm für den April. Es soll thematische Schwerpunkte in ökologischer Bildung geben ebenso wie Gesundheitskurse und Seminare zu dänischer Kultur.

Heute Morgen spielen wir außerdem ein Online-Spiel, was ich die vergangenen Tage auch schön in Rønde und Århus kennengelernt habe: Kahoot!

Über www.kahoot.it ruft Lehrerin Jessica das von ihr vorbereitete Spiel auf. Sie muss die Regeln nicht erklären, alle kennen das Spiel und loggen sich mit dem vorgegebenen Code in das Spiel ein. Ich mache auch mit und muss nun Fragen zu dänischen National- und Lieblingsgerichten, internationalen Essgewohnheiten und allgemeiner Geografie in Sekundenschnelle beantworten. Leider schneide ich nicht so gut ab, aber bei diesem Spiel geht es um den gemeinsamen Spaß an der Sache, und so kann sich dann auch ein Schüler über einen neuen Becher freuen!

Im Unterricht geht es heute Vormittag um die Vertiefung von Grammatikregeln und dem freien Sprechen. Gegen Mittag habe ich ausgiebig Gelegenheit, mich mit Torkild über verschiedene Unterrichtsmethoden, analog wie digital, auszutauschen. Er sieht den Einsatz von zu viel Technik kritisch, denn ihm fehle der direkte Draht zu seinen Schülerinnen und Schülern, wenn sie die ganze Zeit vor ihren Laptops sitzen würden. Ihm sei es wichtig, dass sie so viel Zeit wie möglich damit verbringen, das freie Sprechen zu üben. Dabei bevorzuge er auch, sie wirklich „in Ruhe“ zu lassen und ihnen nicht das Gefühl zu geben, er beobachte sie. So sollen sie mehr Selbstsicherheit bekommen. Je länger wir sprechen, Pro und Contra abwägen, Methoden reflektieren und verschiedene Lernsettings diskutieren, desto mehr fällt auch ihm auf, dass er seine eigene Art zu unterrichten öfter hinterfragen möchte. Wir beschließen, den Kontakt von Heide und Kalø aufrecht zu erhalten und uns regelmäßig über Neuerungen in der Erwachsenenbildung auszutauschen.

Gegen Nachmittag breche ich dann nach Århus auf, wo ich mir noch unbedingt die Bibliothek Dokk1 anschauen will. Vorher verabschiede ich mich aber von Schüler*innen und Lehrer*innen und überreiche noch ein paar Mitbringsel aus Deutschland.

Recht kurzfristig hatte ich in der Bibliothek von Århus angefragt, ob ein kurzes persönliches Gespräch mit Bibliotheksmitarbeitenden zur Umsetzung von Digitalisierung führen könnte. Denn wenn die nächste Bibliotheksführung am 1. April stattfindet, werde ich ja nicht mehr in Dänemark sein. Ich bekomme tatsächlich eine sehr nette, persönliche Email zurück, in der mir eine Louise Lærke mitteilt, dass sie die ganze Woche über in meetings festhängt und sich daher nicht mit mir treffen kann. Ich fahre daher auf eigene Faust nach Århus und parke zunächst im Unterschoss vom Dokk 1. Hier hat die Technik wirklich Einzug erhalten: Ich fahre in eine der vielen Garagen, die mit transparenten Toren versehen sind; auf einem Bildschirm werden mir genaue Anweisungen gegeben, wie weit ich vorfahren soll, dass ich die Handbremse bitte nicht vergesse anzuziehen und mich jetzt bitte aus dem Auto begebe. Aber Vorsicht: Bitte nichts im Auto vergessen! Okay, denke ich, nehme meine Tasche mit, überprüfe noch einmal alles, verlasse die „Garage“ und stelle mich an die Schranke an den Kassenautomaten. Dort muss ich mich mit meiner Kreditkarte registrieren, und plötzlich verschwindet mein Auto ins Nirgendwo des Parkhauses, wird also nach unten transportiert und dort wahrscheinlich gestapelt. Ich schwanke zwischen „Hoffentlich kriege ich mein Auto wieder!“ und absoluter Faszination.

Die hält auch an, als ich dann die Bibliothek darüber betrete. Auf 18.000 Quadratmetern soll sie sich befinden, und was ich erst einmal zu sehen bekomme, ist wirklich wahnsinnig viel Platz: Neben einem Bürgerbüro für Passangelegenheiten (!) stehe ich in einer riesigen Eingangshalle, dann komme ich an einer sog. gaming street, vorbei, wo Leute sitzen und Computerspiele spielen; an PC-Arbeitsplätzen, natürlich auch Bücherregalen (aber nicht so vielen) und ganz hinten sehe ich eine richtig gemütliche Sitzecke mit IKEA-Sesseln und mit dem besten Blick auf Hafen und Wasser von Århus.

Außerdem gibt es ein Café, wo wirklich viele Leute sitzen und sich einen Kaffee gönnen. Es gibt eine Litfaßsäule, an der man auf einer Zeitleiste anpinnen kann, wann man meint, dass bestimmte Gerichte entstanden sind, daneben kann man an einer großen Pinnwand seine Lieblingsgerichte auf Post-its anpinnen – es sind diese netten Kleinigkeiten, die diesem Ort wieder etwas ganz „normales“ gibt.

Auf dem Weg durch die Bibliothek fällt mir auch diese „Maschine“ in einem Glaskasten auf. Ich versuche herauszufinden, was die Fließbänder und Monitore sei sollen, bis jemand kommt und in eine Luke seine Bücher auf ein Fließband legt, die dann durch die Maschine hindurch transportiert werden. Eine elektronische Rückgabemaschine also, mein Gott, ich komme mir wirklich wie vom anderen Planeten vor!

Irgendwie ist es aber ein Spannungsfeld, was ich hier zum Abschluss meiner Woche zu sehen bekomme: Die durchgestylte Bibliothek, in der technisch alles möglich scheint, hat trotzdem viel Raum vorgesehen, an dem sich Menschen TREFFEN können. Die Brettspielsammlung ist enorm und wird vor meinen Augen genutzt, Menschen sitzen zusammen und sind in angeregte Gespräche vertieft. Wie auch in den Schulen in Rønde, Århus und Kalø: Ohne persönliche Kommunikation und persönliche Kontakte auf ganz analoge Weise geht nichts, Digitalisierung bringt zwar enorme Vorteile, aber sie wird in meinen Augen nie einen Ersatz für persönlichen Austausch bieten.

Mit vielen unvergesslichen und neuen Erlebnissen fahre ich also wieder nach Deutschland (mein Auto wurde im Parkhaus wie von Geisterhand in „meine“ Garage zurückgefahren 😉 ). Ich werde einige digitale, aber auch analoge Ideen mit in meine Volkshochschule nehmen und die voranschreitende Digitalisierung in der Erwachsenenbildung immer unter der Prämisse betrachten, wann es Sinn macht, Technik einzusetzen. Denn, wie sagte selbst Marianne von der Lærdansk: „Nutze niemals Technik nur um der Technik willen.“