The Art of Differentiation: Strategies for Inclusive Classrooms in Rom

Silke Wienecke

Volkshochschule Wedel

ERASMUS Mobilität 9.-13.06.2025

Tag 1, Montag, 09.06.2025

Der Kurs The Art of Differentiation: Strategies for Inclusive Classrooms des Anbieters Infol Education SRLS  in Rom soll eine umfangreiche Auseinandersetzung mit Methoden und Strategien der Inklusion im Unterricht und in der Institution bieten. Fünf Tage mit je vier Unterrichtsstunden sind dafür eingeplant.

Der Kursort befindet sich nicht direkt in der Innenstadt Roms, ist aber mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Die Anfahrt mit der Metro klappte hervorragend, doch da kein Bus kam, ging ich den restlichen Weg zu Fuß und kam trotz kleiner Verspätung nahezu pünktlich an, als zweite von acht angekündigten Teilnehmerinnen.

Francesco, der Direktor des Instituts, begrüßte uns herzlich und sagte, dass drei Kolleginnen aus Rumänien auch noch das letzte Stück Wegstrecke zu Fuß zurücklegen würden. Insgesamt waren wir am ersten Tag zu sechst, zwei Lehrerinnen einer Berufsschule in Le Mans, Frankreich, sowie drei Lehrerinnen einer Berufsfachschule/Fachhochschule für Elektrotechnik aus Cluj/ Rumänien. Es gab eine einstündige ausführliche Vorstellungsrunde einschließlich der spezifischen Arbeitsbedingungen an den einzelnen Institutionen. Dann wurde Francesco zunehmend unruhig, da die Dozentin, die um 11:00 Uhr das erste Training beginnen sollte, nicht auftauchte. Es gab einen familiären Notfall, weshalb sie voraussichtlich bis mittags nicht zum Unterricht erscheinen könnte. Länderübergreifend war man sich einig, dass das wie im richtigen Leben wäre und eine Situation, wie wir sie alle in unseren eigenen Schulen auch schon erlebt hätten. Die rumänische und die deutsche Fraktion stellten fest, dass ohnehin in ihren Ländern der Pfingstmontag ein Feiertag wäre, überraschenderweise in Italien aber nicht.

Francesco teilte dann einen mehrseitigen umfangreichen Fragebogen über die Erwartungen an den Kurs und die Umsetzung der Ergebnisse an den jeweiligen Arbeitsplätzen aus. Die Ergebnisse dazu wurden jeweils im Plenum diskutiert. Das gab schon einen interessanten Überblick über die jeweiligen äußeren Gegebenheiten, mit denen die einzelnen Institutionen arbeiten müssen.

So unterrichten die Kolleginnen aus Frankreich die Fächer Französisch und Geschichte, aber auch „digital literacy“ in einer staatlichen Schule für Metallurgie, an der trotz einer sehr diversen Schülergruppe wenig Rückhalt für inklusive Lösungsansätze vorhanden sei. Die rumänischen Kolleginnen, allesamt in technischen Fächern tätig, sahen eher Verhaltensauffälligkeiten und Aufmerksamkeitsprobleme bei ihren Studierenden als problematisch an und betonten, dass ihre Schule in dieser Hinsicht aufmerksam wäre und nach Wegen suche, inklusive Strategien umzusetzen. Die Schülerschaft ist dort offenbar weniger heterogen, wobei auch dort eine große Gruppe Flüchtlinge aus der Ukraine neu ins Bildungssystem integriert werden muss.

Die Fragebögen wurden von Francesco gesammelt und an die Kursleiterin weitergeleitet, damit sie für den morgigen Unterrichtstag diese Informationen vorliegen hatte. Wir einigten uns darauf, am morgigen Unterrichtstag zwei entsprechend längere Unterrichtsblöcke einzuplanen, um den Stoff entsprechend behandeln zu können. Francesco beantwortete dann noch Fragen zum weiteren Verlauf des Kurses. Es sind zwei Außentermine/Hospitationen geplant. Darauf bin ich besonders gespannt. Gegen 13.00 Uhr war die Sitzung beendet. Das rumänisch-deutsche „Team Bus“ startete einen neuen Versuch, und diesmal klappte es, der Bus kam, zwar eine halbe Stunde später als laut Fahrplan, aber es war angenehm, den Weg zur Metro in der Mittagshitze nicht zu Fuß laufen zu müssen. Wir werden diese Aktion dann morgen als „Team- Building activity“ vorstellen. Wir haben uns dafür morgen auch um 9.15 an der Metro verabredet, um die Aktivität fortzusetzen.

Tag 2, Dienstag, 10.06.2025

Heute war die Trainerin, Kwanza Dos Santos, dann wie geplant da, und es gab einen fünfstündigen Workshop zu Themen aus der interkulturellen Pädagogik. Kwanza ist selbst italienische Staatsbürgerin, ihre Eltern sind aus Brasilien eingewandert, und sie hat sich aufgrund ihrer eigenen Biografie ausführlich mit Fragen inklusiven Lehrens und Lernens beschäftigt.

Der Workshop umfasste Partner- und Gruppenarbeiten und war gut angeleitet, speziell was assoziatives Arbeiten anging. Beim Zusammenstellen der Charakteristika inklusiven Unterrichts hatte ich dagegen das Gefühl, dass Kwanza sehr klare Vorstellung davon hatte, wie die Ergebnisse aussehen und formuliert werden sollten, das hat mich an einigen Stellen etwas gestört. Der Vollständigkeit halber fasse ich sie aber hier noch einmal zusammen: 

  • Inklusive Pädagogik basiert auf dem Prinzip, dass alle Lernenden – unabhängig von ihren individuellen Voraussetzungen – gemeinsam lernen und gefördert werden sollen.
  • Sie erkennt Vielfalt als Bereicherung und nicht als ein Problem, das beseitigt werden muss.
  • Ein zentrales Ziel inklusiver Pädagogik ist die Teilhabe aller Lernenden am schulischen und gesellschaftlichen Leben.
  • Lehrkräfte passen ihre Methoden, Materialien und Lernumgebungen an die unterschiedlichen Bedürfnisse der Lernenden an.
  • Inklusion bedeutet nicht nur die Integration von Menschen mit Behinderungen, sondern auch die Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Unterschiede.
  • Die Zusammenarbeit im multiprofessionellen Team ist ein wichtiger Bestandteil inklusiver Arbeit.
  • Inklusive Pädagogik orientiert sich an den Menschenrechten und am Prinzip der Gerechtigkeit im Bildungssystem.
  • Inklusiver Unterricht schafft eine Umgebung, in der sich alle Lernenden sicher, wertgeschätzt und lernfähig fühlen.

Die Ergebnisse aus unseren kleinen Gruppenarbeiten – Übungen zum aktiven Zuhören, Vergleiche der Bildungssysteme im Hinblick auf die Einbürgerungspolitik der jeweiligen Länder, Übungen zu Stereotypen und die anschließende Analyse biografischer Erfahrungen mit Stereotypen waren dagegen sehr interessant. So habe ich heute gelernt, dass das Staatsangehörigkeitsrecht in Italien letztmalig 1992 angepasst wurde. Für in Italien geborene Kinder nicht-italienischer Eltern gilt bis heute, dass sie nur zwischen ihrem 18. und 19. Lebensjahr die italienische Staatsbürgerschaft beantragen können, sie aber dafür auch ununterbrochen in Italien gelebt haben müssen. Ein Schuljahr im Ausland etwa würde diese Anforderung unmöglich machen. Die Kolleginnen aus Rumänien berichteten, dass es seit einigen Jahren starke Einwanderung aus Indien, Nepal, China und Sri Lanka nach Rumänien gebe. Diese Einwanderergruppen würden überwiegend die Jobs ausüben, die die Rumänen nicht (mehr) annehmen würden: subalterne Tätigkeiten, zum Beispiel in Gastronomie, Hotellerie… Da circa 40 % der rumänischen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter selbst im Ausland arbeiten, lägen viele dieser Jobs ohne die Einwanderer brach.

Es sind Informationen wie diese, die das Erasmus-Programm so interessant machen: globale Entwicklungen, die in unterschiedlicher Weise in einzelnen Ländern ihren Niederschlag finden. 

Zum Thema „Stereotype“ gab es einen TED-Talk der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, nicht ganz neu, sondern aus dem Jahr 2009, aber nicht weniger aktuell, ein sehr gut ausgewähltes Testimonial über die Erfahrungen mit Stereotypen in beide Richtungen: Erwartungen und Zuschreibungen anderer und die eigenen Projektionen von Wirklichkeit auf andere Personen. Adichie beschrieb darin anschaulich ihre eigene Lesesozialisation, in der sie als Jugendliche ausgiebig klassische englische Literatur las (die ihre eigene Mutter von Studienaufenthalten in Großbritannien mitgebracht hatte) und ihr Blick auf das Land und seine Kultur eine quasi spätromantische Färbung hatte. Mit der Realität konfrontiert erlebte sie einen ungewollten, notwendigen Perspektivenwechsel, um die ihr bekannten, aber in ihrer Zeit verhafteten Themen und Sichtweisen einordnen und als Ausgangspunkt für ihre eigene Realität umwidmen zu können.

Dieser Wechsel der Perspektiven – „the different gaze“ – wurde anschließend in einigen praktischen Übungen erprobt. Zu Grunde lag die Annahme, dass durch Veränderungen der Narrative auch ein Wechsel vorgenommen werden könne. Kwanza stellte dazu Beispiele aus italienischen Lehrbüchern vor, die nach wie vor im Gebrauch seien. Geradezu erschütternd fand ich ein Beispiel aus einem Lesebuch für die dritte Klasse, in dem drei Kinder gefragt wurden, was sie sich für das beginnende Schuljahr wünschen. Ein strahlender blonder Junge antwortete, er würde gern viel draußen spielen. Ein niedliches Mädchen sagte gar nichts, ein dunkelhäutiger Junge in unbeholfenem Italienisch, er möchte gern viel besser Italienisch lernen. Dieses und weitere Beispiele führten zu lebhaften Diskussionen darüber, wie in einer Unterrichtssituation mit einfachsten Mitteln Stereotype in inklusive Ansätze umgewandelt werden könnten. Die französischen Kolleginnen berichteten, dass in Frankreich derzeit viele Lehrbücher sehr kritisch evaluiert und verändert würden. Aus meiner Erfahrung konnte ich ein DaZ-Lehrwerk der neuesten Generation vorstellen, in dem inklusive Ansätze konsequent umgesetzt worden waren. Die durchgehend verwendeten Charaktere sind unterschiedlich angelegt, beispielsweise sitzt ein Protagonist im Rollstuhl, eine weitere Protagonistin ist schon recht alt, es gibt mehrere Personen mit Migrationshintergrund, die ganz unterschiedliche berufliche Tätigkeiten ausüben („Miteinander“, Hueber Verlag, 2024).

Der letzte Teil des Workshops umfasste eine Übersicht über inklusive Sprache, da war inhaltlich wenig Neues dabei, aber interessante linguistische Aspekte gab es auch hier. 

Tag 3, Mittwoch, 11.06.2025

Heute war einer der beiden Unterrichtstage, die für Exkursionen und Außenaktivitäten vorgesehen sind. Die Gruppe besteht nach wie vor aus sechs Personen, die beiden Kolleginnen aus Rumänien, die am Montag noch angekündigt worden waren, konnten kurzfristig nicht am Kurs teilnehmen. Heute war der Treffpunkt die Metro Station Circo Massimo, von dort ging es ein kurzes Stück zu Fuß zum Kulturzentrum „Celio Azurro“.

Der Stadtteil „Celio“ ist nach dem Cäcilienhügel benannt und befindet sich im Zentrum der Stadt, nahe beim Circus Maximus. Trotzdem (wegen der Hanglage) ist es dort eher ruhig und grün – es gibt viele öffentliche Parkanlagen. Und da wunderbares Sommerwetter herrscht, ist der Himmel azurblau. Der Name der Einrichtung wurde bewusst so gewählt, als Wortspiel, das den blauen Himmel („cielo azzurro“) und den blauen Hügel verbindet, der Name ruft Assoziationen wie Weite, Unendlichkeit etc… hervor.

„Celio Azzurro“ geht auf eine private Initiative zurück, die in Deutschland vielleicht mit einem niedrigschwelligen Nachbarschaftszentrum der 1970er Jahre vergleichbar wäre, ein Konzept, an das in Deutschland die heutige stadtpolitische Quartiersplanung wieder anknüpft. Gegründet 1990 mit einem innovativen pädagogischen Konzept ist heute eine durch das Bildungsministerium geförderte Einrichtung, die frühkindliche Bildung bis Erwachsenenbildung anbietet.

Wir wurden von Giorgio, einem Pädagogen, der seit der Gründung dort arbeitet, freundlich begrüßt und herumgeführt. In Italien haben Pfingsten die dreimonatigen Sommerferien begonnen, die Schulen und viele andere Bildungseinrichtungen sind daher geschlossen. Nur eine kleine Gruppe wurde in der Zeit betreut, darum konnten wir auch das Gelände und die Unterrichtsräume ansehen.

Das Konzept basiert auf einer ganzheitlichen Pädagogik, die inklusive Ansätze auf unterschiedliche Generationen/Altersgruppen anwendet. Die Angebote wurden von Anfang an auf die Bedürfnisse von Eltern und Kindern ausgerichtet.  In der Gründungsphase kamen 75% der Teilnehmenden aus Einwandererfamilien, heute sind es ca. 40%.  Umgangssprache ist Italienisch und so werden systematisch auch Italienischunterricht für Migranten, Kochkurse, Yoga und vereinzelt Angebote zur politischen Bildung angeboten. Dabei handelt es sich ausschließlich um kommunalpolitische Themen im Stadtviertel, die meist auf konkrete Problemlösungen abzielen (die Parkplatzsituation zum Beispiel). 

Celio Azzurro bietet also unterschiedliche Bildungsaktivitäten und -wege an, die von einer vielfältigen Gesellschaft (ethnisch, kulturell und generationenübergreifend) geprägt sind.

Ein solcher Ortstermin ermöglicht Einblicke, die nur in der praktischen Arbeit zu gewinnen sind. Eine kritische Anmerkung jedoch: „Inklusion“ umfasst für mich auch Barrierefreiheit oder zumindest das Bewusstsein dafür. Außengelände und Gebäude sind aufgrund der Hanglage für Menschen mit körperlichen Einschränkungen aber kaum oder gar nicht zugänglich, es gibt viele Treppen oder Stufen und keine angepasste Zuwegung.

Unsere Exkursion am dritten Tag endete mit einem gemeinsamen Rundgang durch die Viertel St. Giovanni und Esquilino, das Stadtviertel, das in Richtung des Hauptbahnhofs den höchsten Migrantenanteil der Stadt aufweist. Die Dozentin wies immer wieder auf die Vielfalt hin, die sich im Straßenbild zeige, dies schien ihr sehr wichtig zu sein. Den Abschluss bildete ein Besuch des Marktes „Nuovo Mercato Esquilino“, ein berühmter Markt, der nach langen kommunalpolitischen Verhandlungen vor ca. 15 Jahren aus hygienischen Gründen mit einer riesigen Markthalle umgebaut wurde. Die umgebenden Straßen waren vor allem von asiatischen (Indien, China, südostasiatische Staaten) Cafés, Restaurants und Lebensmittelgeschäften geprägt. Der Markt selbst bot Lebensmittel aus mehreren Kontinenten und es war ein Erlebnis, dort einmal hindurchzuschlendern.

Für morgen ist ein weiterer „Ausflug“ geplant, mehr wurde nicht verraten. Ich bin gespannt!

Tag 4, Donnerstag, 12.06.2025

Heute fand der zweite Außentermin statt. Sehr schön daran: wir trafen uns im Freien, erst an der U-Bahn-Station Hauptbahnhof, um zur Station EUR Palaspor (ein großes Stadium) zu fahren. Von dort war es nur ein kurzer Fußweg zum Parco Centralo del Lago, einem öffentlichen Park. Von den veranschlagten drei Zeitstunden Unterricht war damit schon mehr als eine halbe Stunde vorbei. In den verbleibenden zweieinhalb Stunden führten wir exakt sechs Übungen durch. Das war wenig, zumal für keine der sechs Teilnehmerinnen etwas wirklich Neues dabei war, wie wir uns auf der Rückfahrt mit der Metro gegenseitig bestätigen konnten. Ich will jetzt nicht zu kritisch sein, und es war wie gesagt sehr schön, nicht in einem heißen Klassenzimmer zu sitzen (es waren heute 35°), und es war auch keine vertane Zeit mit den Kolleginnen aus zwei anderen Ländern diese Übungen durchzuführen, aber der Erkenntnisgewinn war sehr überschaubar.

Es handelte sich bei den Übungen um Aufwärm- und Eisbrecher Aktivitäten, wie alle sie selbst in ihrem Unterricht schon durchgeführt haben: den eigenen Namen und damit ein Stück Biografie zu erklären, drei Dinge über sich selbst, von denen eine Aussage nicht zutraf und die erraten werden musste, eigene Stärken und Schwächen zu beschreiben, dann ein „Blindfold Walk“ als vertrauensbildende Maßnahme, ein „Privilege Walk“, anschließend eine kurze Schnitzeljagd, bei der auf dem Handy Fotos von verschiedenen Objekten gemacht werden mussten. Vielleicht waren heute einfach alle etwas erschöpft und träge, aber nicht nur ich habe die Veranstaltung als extrem in die Länge gezogen und wenig inhaltsreich empfunden. Die Inhalte entstanden durch die informellen Gespräche mit den Kolleginnen. Außerdem waren wir mitten in einem römischen Park während der Woche im überraschend heißen Frühsommer, ein schönes Erlebnis, zu beobachten, wie die Römerinnen und Römer, speziell Familien mit kleinen Kindern, sich in einer kleinen grünen Oase mitten in der Großstadt erholen.

Tag 5, Freitag, 13.06.2025

Der fünfte und letzte Tag begann mit einer kurzen Nachlese der Outdoor-Aktivitäten, dem Besuch im Kulturzentrum Celio Azzurro und dem Aktivitäten-Nachmittag im Park gestern. Die Rückmeldungen über Celio Azzurro und den anschließenden Quartiersrundgang waren übereinstimmend sehr positiv. Mit dem gestrigen Nachmittag waren die Teilnehmerinnen wohl alle nicht richtig zufrieden, wir alle brachten unsere Kritik aber sehr vorsichtig vor. Meine Bitte für den letzten Tag war, noch ein paar Impulse zu anderen Aspekten der Inklusion zu bekommen, nicht nur die migrantische Perspektive. Das wurde auch erfüllt, nach einem längeren Exkurs zu den Themen inklusiver Geographie und Geschichte.

Die Unterrichtsform war überwiegend ein Vortrag von Kwanza, immer wieder aufgelockert durch Beispiele und Vergleiche der Situation in unseren jeweiligen Herkunftsländern.

Grundsätzlich ist Inklusive Geographie ein Ansatz, geografische Räume, Phänomene und Prozesse so zu betrachten, dass alle Menschen, unabhängig von ihren Fähigkeiten, Hintergründen oder Lebensumständen, einbezogen werden. Sie legt Wert darauf, Barrieren zu identifizieren und abzubauen, die den Zugang zu geografischem Wissen oder räumlichen Erfahrungen einschränken könnten. Das bedeutet, dass Lehrmaterialien, Karten und Lernmethoden so gestaltet werden, dass sie für alle zugänglich sind, beispielsweise durch taktile Karten für sehbehinderte Menschen oder durch leicht verständliche Sprache.

Inklusive Geographie fördert das Bewusstsein für die Vielfalt der Lebenswelten und die unterschiedlichen Perspektiven, die Menschen auf der Welt haben. Sie betont die Bedeutung von Partizipation und Mitbestimmung in der Raumgestaltung und -planung. Ziel ist es dabei, Diskriminierung und Exklusion zu vermeiden und eine gerechte Verteilung von Ressourcen und Chancen zu fördern. In der Praxis bedeutet das auch, Umwelt- und Raumfragen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, etwa aus der Sicht von marginalisierten Gruppen. Die inklusive Geographie soll dazu beitragen, gesellschaftliche Ungleichheiten sichtbar zu machen und Lösungen zu entwickeln, die alle Menschen einschließen. Sie ist eng verbunden mit Konzepten wie Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Menschenrechten. Durch den Einsatz moderner Technologien (z. B. Geoinformations-systeme, GIS), können dazu Daten gesammelt und für alle zugänglich gemacht werden. Insgesamt zielt inklusive Geographie darauf ab, das Verständnis für die komplexen Zusammenhänge des menschlichen Lebens auf der Erde zu fördern, ohne bestimmte Gruppen auszuschließen. 

Eng verknüpft mit inklusiver Geographie ist die Kritik an kolonialer und postkolonialer Kategorisierung. Die Bezeichnung „Dritte Welt“ oder „Entwicklungsländer“ beschrieb Kwanza als Beispiel dafür, wie politische Kategorisierung während des kalten Krieges durch die USA die westliche Sichtweise für Jahrzehnte prägte. Die Aufteilung Afrikas durch Kolonialmächte bis hin zum Ziehen von Landesgrenzen mit dem Lineal, völlig ungeachtet der bestehenden Besiedlung durch unterschiedliche Ethnien nannte sie als ein Beispiel dafür, wie geopolitische Fakten geschaffen wurden. Bis heute gehe die Länderbezeichnung Kamerun auf das Portugiesische Wort Camo für „Krabben/Shrimps“ zurück. Der frühere Staat Obervolta hingegen hätte seine Umbenennung in Burkina Faso, ungefähr übersetzbar als „Land der Menschen mit Würde“ aus den zwei meistgesprochenen Sprachen des Landes ausgewählt. Für Ghana war die koloniale Bezeichnung die „Goldküste“, eine ähnliche Bezeichnung hat Cote D‘ Ivoire bis heute. Ein kurzer, aber hochinteressanter Beitrag auf dem YouTube-Kanal „Geography Now“ über Frankreich illustrierte die irgendwie anachronistisch anmutenden französischen Übersee-Départments, Enklaven und „Territoires d’outre-mer“ (TOM). Eine der französischen Kolleginnen hat Familie in New Caledonia und konnte dazu aus eigener Anschauung über die dortigen speziellen Autonomieregelungen berichten.

Inklusive Geschichtsschreibung zielt ebenfalls darauf ab, Geschichte aus vielfältigen Perspektiven zu erzählen und alle gesellschaftlichen Gruppen einzubeziehen. Sie soll traditionelle, oft eurozentrische oder westlich dominierte Narrative ausbalancieren, die bestimmte Gruppen marginalisieren oder ausblenden. Ziel ist es, die Erfahrungen von Minderheiten, Frauen, ethnischen Gruppen, sozialen Schichten und anderen oft übersehenen Akteuren sichtbar zu machen, um die Vielfalt menschlicher Erfahrungen abzubilden. Sie bezieht idealerweise Quellen aus verschiedenen Kulturen und Perspektiven ein, um ein umfassenderes Bild der Vergangenheit zu zeichnen. Dieser Ansatz soll dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und die Stimmen von Menschen zu hören, die in traditionellen Geschichtsschreibungen oft fehlen, etwa durch die Einbeziehung von „Oral History“.

Kwanza erläuterte weitere interessante Beispiele aus Italien: so wurden seit 1923 seh- und hörbehinderte Kinder in eigenen Schulen unterrichtet. Dort wurden aber auch Kinder aus Süditalien aufgenommen, die mit regionalen Dialekten (und teilweise Sprachen) aufgewachsen waren und kein Standarditalienisch sprachen. Also gewissermaßen das Gegenteil von Inklusion.

Seit etwa 20 Jahren gibt es in Italien einen nationalen Integrationsplan (Piano di Integrazione degli Stranieri, PEI), der die folgenden Ziele hat:

  1. Sprachliche Integration: Förderung der Italienischkenntnisse, um die Kommunikation im Alltag und im gesellschaftlichen Leben zu erleichtern.
  2. Kulturelle Integration: Vermittlung von Kenntnissen über die italienische Kultur, Werte und gesellschaftliche Normen, um das Verständnis und die Teilhabe zu stärken.
  3. Soziale und rechtliche Integration: Unterstützung bei der Orientierung im Rechtssystem, beim Zugang zu Bildung, Arbeit und sozialen Diensten, um eine erfolgreiche Eingliederung in die Gesellschaft zu gewährleisten.

Derzeit ist ein bildungspolitischer Schwerpunkt die Integration von Kindern mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen ins reguläre Schulsystem, indem man ihnen Schulbegleiter zur Seite stellt.

Der letzte Unterrichtsabschnitt diente dazu, dass alle Anwesenden kurz das Bildungssystem ihrer Länder vorstellten. Da außer mir alle an staatlichen Berufsfachschulen mit der Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen tätig sind, lag der Fokus auf dieser Altersgruppe und den Schulformen. Alle stellten für ihre Einrichtungen und sich fest, dass inklusive Pädagogik mindestens schon stark reflektiert würde, dass in vielerlei Hinsicht auch schon Maßnahmen erfolgt wären, da es sich dabei aber um einen fortwährenden Prozess handelt und nicht um einen festzuschreibenden erreichten Zustand, bleiben viele Aufgaben weiter bestehen. Die Veranstaltung endete mit der Austeilung der Teilnahmebescheinigungen und einer allgemeinen Feedbackrunde.

Aus dem Kurs nehme ich eine Reihe neuer Impulse mit und – wie bisher immer bei Erasmus Programmen – wunderbare Gelegenheiten, sich mit Kolleginnen aus anderen Ländern auszutauschen. Diese Erfahrungen sind sehr wertvoll und helfen dabei, den Blick auf Herausforderungen und Problemlösungen zu schärfen. An zwei von 5 Unterrichtstagen fand allerdings nur ein reduziertes bzw. ein den Erwartungen nicht ganz genügendes Programm statt. Eine der französischen Kolleginnen formulierte es als Analogie auf den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen so: „Wir sind bei Fragen der Inklusion doch schon auf dem B1-B2-Level, und der Kurs war für A1/A2 konzipiert“.