Innovatives Lernen mit Tablets, Graz (3)

von E. B.

GRAZ – SAMSTAG, DER 4. 5. 2019

Anreisetag. 18 Uhr. Wir fahren langsam mit der Straßenbahn zum Hotel, konzentrieren uns auf Stationennamen und betrachten nahliegende Gebäude. Die Stadt wirkt auf mich harmonisch, beruhigend und gemütlich. Ich bin fast vom ersten Augenblick verliebt und hoffe auf eine schöne und produktive Zeit hier. Hinter uns liegt der Flug Hamburg – Wien und die restliche Reise mit dem Zug Wien – Graz.
Die zweitgrößte Stadt ist die schönste Stadt Österreichs.
Das ist der erste Grund aus zehn, warum man 2019 unbedingt Graz besuchen sollte. Das steht im Bordmagazin von Austrian Airlines.
Das Hotel haben wir schnell gefunden und waren von der Lage (idyllisch und grün mit Blick auf die Berge) positiv überrascht.
Zum Schluss haben wir uns mit einem guten Essen für den morgigen Tag gestärkt.

GRAZ – SONNTAG, DER 5. 5. 2019

Dieser Tag wurde von den Organisatoren als Kursvorbereitung geplant. Diese Phase ist individuell und selbständig zu gestalten. Jeder sollte in seinem Tempo die Apps installieren. Diejenigen, die das eigene Tablet mitgenommen haben, haben das schon erledigt. Andere, zu denen ich auch gehöre, bekommen die Tablets von Atempo morgen und holen es dann nach. Doch die Zeit für einige Erfahrungen aus dem Internet habe ich mir genommen.
Der aktive Tag beginnt für unser Team aus S-H mit dem Spaziergang zum Schulungsort Atempo (etwa 3 km vom Hotel entfernt). Eine kurze Besichtigung des Gebäudes und Umgebung ergänzt die Vorbereitungsphase.
Dann gehen wir weiter zu Fuß zum Stadtzentrum. So kann man am besten Graz erkunden.
Dem zweiten Grund „Weil jeder Spaziergang durch das Unesco Weltkulturerbe zu einer Entdeckungsreise wird“ kann ich nur zustimmen. Prächtige Palazzi und verspielte Plätze, versteckte Gässchen und romantische Innenhöfe, Kopfsteinpflaster und rote Ziegeldächer: die italienischen Baumeister, die einige Jahrhundert lang in Graz lebten und wirkten, prägen diese Stadt bis heute.

18 Uhr. Gemeinsam mit anderen Teilnehmerinnen, die in unserem Hotel wohnen, gehen wir zum Willkommensessen beim Wienerwirt und lernen uns unterwegs näher kennen. Wir genießen die Steirer Spezialitäten und Getränke und lassen den Abend ausklingen.

Morgen erwartet uns ein Programm voll Herausforderung und Überraschung.

GRAZ – MONTAG, DER 6. 5. 2019

Heute um 9 Uhr startet unser Kurs. Die Gruppe ist relativ homogen: motivierte Lehrer aus Deutschland und Bulgarien. Am Anfang gehen unsere Kursleiter Karl und Thomas die Programmpunkte durch. Dann kommt die Einführung ins Papierlose Klassenzimmer mit Google Classroom. Wir versuchen Schritt für Schritt in Kleingruppen, die iPads zu zähmen. Am spannendsten ist die praktische Aufgabe, die Teams mit frischgemachten Fotos zu präsentieren. Als Arbeitsergebnis entstehen: Fantastic Four, Die unglaublichen Vier, SOPEJO und Die Digi-GRAZien. Als Erwartung vom Kurs wird fast von allen Gruppen „Input und seine weitere Realisierung in den Lernprozess“ genannt. Wir sind gespannt, was auf uns zukommt. Nach einer kurzen Kaffeepause folgt der Hausrundgang durch das Atempo-Gebäude. Der Schwerpunkt dieser Organisation ist die soziale Begleitung für behinderte Menschen in der Vorausbildungsphase.

Am Nachmittag hören wir einen ausführlichen und informativen Vortrag über den Europäischen Rahmen für die Digitale Kompetenzen von Lehrenden. Der Kompetenzrahmen ist gegliedert in sechs Kompetenzbereiche mit insgesamt 22 Kompetenzen. Thomas präsentiert auch didaktische Möglichkeiten digitaler Werkzeuge am Beispiel des amerikanischen Modells „SAMR“.

Intensive theoretische Einführung in DigCompEdu wechselt sich wieder durch aktives Kennenlernen digitaler Ressourcen ab. Wir lernen, wie man digitale Medien zur Differenzierung und Individualisierung in den alternativpädagogischen Prozess einsetzen kann. Ich habe viele Anregungen bekommen und weiß schon, was ich in meinem Unterricht anwenden werde.

GRAZ – DIENSTAG, DER 7. 5. 2019

Heute ist ein schöner Tag. Erstens, die Außentemperatur soll bis auf 16 Grad steigen.

Zweitens, am Vormittag besuchen wir die erste iPad-Schule Österreichs und am Nachmittag erkunden wir die mittelalterliche Riegersburg.

Um 8.15 Uhr fahren wir vom Hotel Stoiser ab. Die Fahrt bis Jennersdorf, wo die Schule ist, dauert ca. 1 Stunde. Wir sind an Ort und Stelle und uns kommen die Schüler entgegen, die im Werkunterricht aus Holzbrettern iPads basteln wollen.

Der offizielle Besuch beginnt mit Begrüßung des Direktors. Danach gehen wir in die Medienhalle und der Schulleiter hält einen Vortrag über seine Schule. Heute ist es Symbiose zwischen der Mittelschule und der Polytechnischen Schule mit 13 Klassen und ca. 35 Lehrern, die mit iPads ausgerüstet sind. Nach kurzer Kaffepause dürfen wir im Unterricht schnuppern. Bei der ersten Stunde werden wir an die Stelle von Schülern gesetzt und erleben entsprechende Möglichkeiten, mit unterschiedlichen Apps und Programmen zu arbeiten. Die Schüler der dritten Klasse (in Deutschland entspricht das der siebten Klasse) helfen uns dabei.

Dann besuchen wir nacheinander den Physik-, Hauswirtschafts-, Sport- und Geschichtsunterricht. Die Führung rollt reibungslos ab und wir dürfen die modernen Unterrichtsräume mit Activeboard und WLAN-Verbindung, das Lehrerzimmer, die Küche, den Speiseraum, die Werkstatt bestaunen. Zum Schluss kommen wir noch einmal in den Medienraum und dürfen beeindruckt noch ein paar Fragen stellen. Wir werden die nächsten Tage bestimmt mit Kollegen auf dieses Erlebnis zurückkommen.

Der warme Nachmittag lässt uns die wunderschöne mittelalterliche Burg in Sonnenstrahlen genießen und für kurze Zeit von digitalen Medien abschalten. Morgen lernen wir wieder etwas Neues dazu.

GRAZ – MITTWOCH, DER 8. 5. 2019

Der heutige Tag begann mit dem Präsentieren der OSMO-Produkte. Unser Kursraum hat sich in ein digitales Lerncafé verwandelt. An mehreren Tischen wurden die Lernspiele aufgebaut und wir sind mit dem Stationenlernen gestartet. Die Atempo-Lernenden unterstützen uns beim Buchstabenrätsel, Rechnen mit Zahlenblasen, Nachmalen und Tangram.

Wir fühlen uns wie Kinder und spielen gerne zusammen oder gegeneinander. Dann kommt die Zeit, neue Apps kennenzulernen. Mit Thomas lernen wir, wie man Wissen mit digitalem Mindmapping entwickeln und organisieren kann. Marcus erklärt uns, wie digitales Karteikartensystem mit Quizlet funktioniert. Das Potenzial von beiden Apps im DaZ-Bereich kann man nicht unterschätzen und wir denken schon über die Themen für unseren Integrationskurs nach. Den Rest des Tages verbringen wir mit Book Creator und digitalisieren Graz beim lockeren Spaziergang in Form einer Schnitzeljagd. Mit regem Austausch mit anderen Teilnehmern geht unser Arbeitstag zu Ende.

GRAZ – DONNERSTAG, DER 9. 5. 2019

Heute gibt es im Programm Parallel-Sessions. Ein Teil der Gruppe trifft sich in unserem Atempo-Raum für die Arbeit am Thema „Digitalisierung in der Erwachsenenbildung“. Die restlichen Teilnehmer entscheiden sich für den Besuch der Volksschule Hirten. Wir starten vom Hotel um 8 Uhr und sind in einer Dreiviertelstunde vor Ort angekommen. Die Mehrstufenklasse ist die einzige in Graz. Das schulzentrierte Konzept, wo die Verantwortung für den Bildungsweg nicht vom Lehrer bestimmt wird, sondern vom Kind übernommen wird, hat mich erstaunt. Der Klassenlehrer, der dieses Konzept entwickelt hat, konnte das nicht nur beim Vortragen begründen, sondern mit seiner Arbeit demonstrieren. Wir warten, bis die Kinder den Klassenraum betreten. Sie kommen ganz ruhig und setzen sich auf die Bank in einen Kreis. Ein Mädchen nimmt Triangel und Stock und nun kommt das Signal für Unterrichtsanfang. Die Schüler stehen auf und gehen zu den Tischen. Jeder nimmt ein Aufgabenheft und erledigt das, worauf er gerade Lust hat. Sie arbeiten langsam und konzentriert. Wenn jemand eine Frage hat oder Hilfe braucht, kommt der Lehrer oder Assistent. Man spürt keine Hektik oder Spannung. Der ganze Lernprozess wird von den Schülern selbst geleitet. Alle Schulrituale wie Morgenkreis, Arbeitsphasen, Singpausen, Besprechungen, Abschlussdiskussionen, sogar die Raumausstattung werden von im Voraus gemeldeten Schülern durchgeführt. Diese Kinder verfügen über gute soziale Kompetenzen, Selbstvertrauen und Selbstständigkeit.

Die zweite Klasse ist die multikulturelle iPad-Klasse in der gleichen Schule. Mir gelingt es, bei dem Unterricht im Rahmen des Projekts digi.DaZ dabei zu sein. Ein Mädchen und ein Junge führen per iPad das Gespräch mit dem Lehrer, den sie vor sich auf einem separaten Tablet sehen, und machen ab und zu kurze Aufgaben, die sie mit einem Click zur Kontrolle an den Lehrer senden. Sie lernen heute Präteritumformen. Alles läuft reibungslos. Der Besuch hat mir viel Input gegeben und im Kopf drehen sich schon viele Ideen.

Im „Offenem Lernraum bei Atempo“ am Nachmittag ist als Gast Anida Kadri. Sie berichtet ausführlich über das Projekt digi.DaZ und digi.MU und präsentiert Kurzfilme und Videosequenzen zum Onlineunterricht. Mich beeindruckt, wie offen Anida über die Probleme im DaZ-Bereich, über eigene Fehler und kleine Errungenschaften spricht. Der rege Austausch und Diskussion wechselt zu einer Live-Schaltung mit einem Onlinelehrer für Bosnisch, Serbisch und Kroatisch im Rahmen des Projekts digi.MU. Zum Schluss erproben wir in Kleingruppen die vorgestellten Apps.

Vom heutigen Tag konnte ich als Pädagoge bisher am meisten profitieren.

GRAZ – FREITAG, DER 10. 5. 2019

Heute ist der letzte Tag unseres Fortbildungskurses, und laut des Programms erwarten wir einen Überraschungsgast. Das ist wirklich eine Überraschung. Sandra, eine blinde Frau, hält für uns den Vortrag über die Hilfsfunktion für blinde Menschen VoiceOver und zeigt die Möglichkeiten der integrierten Assistentin Siri und der App Be My Eyes, die das iPhone bietet. Besonders interessant sind die ausführlich beschriebenen Bedeutungen von Smileys, die wir jeden Tag benutzen. Es ist schön, wieder was Neues zu lernen oder das Bekannte von einem anderen Betrachtungswinkel zu beobachten. Nach kurzer Pause beschäftigen wir uns mit digitalen Quiz und Testtools. In Einzelarbeit erstellen wir kleine Frage-Antwort-Spiele und testen diese an Kollegen. Nur durch die praktische Arbeit kann man das Potenzial der zahlreichen Apps für digital-inklusive Bildung auswerten.

Ein Crashkurs in mobiler Videoproduktion von unserem Kursleiter Thomas lässt uns nochmals überraschen, wie schnell man ein wundervolles Video erstellen kann. Wir erlernen die Grundlagen der Montage und der Arbeit mit Licht und Ton und bekommen die letzte Aufgabe: Erstellen eines Videofeedbacks. Das wird der Höhepunkt des Tages. Das Video sollte 3 Punkte umfassen: Highlights der Woche, unser erster Schritt nach der Rückkehr und Umsatz des Erlernten. Zwei Gruppen machen sich an die Arbeit. Das Wetter ist schön und wir können uns die Aufnahmen draußen im Garten leisten. Wir überlegen das Konzept und wundern uns, wie eifrig und kreativ unsere Kollegen sind. Nach der Mittagspause beginnt die Präsentation. Alle sind gespannt und warten neugierig auf die Reaktion von den Kursleitern und Kollegen. Unser Video ist fast klassisch gebaut. Im Kreis mit grünem Hintergrund berichten wir nacheinander über die Ergebnisse. Das andere Team hat sich ideenreich und phantasievoll gesagt. Wir lachen vor Vergnügen.

Nun ist die Zeit Abschied zu nehmen. Karl und Thomas schalten einen Song von Pharrell Williams „Happy“ ein und tanzend bekommt jeder sein Zertifikat. Die Stimmung unter den Teilnehmern ist harmonisch. Ich glaube, eine Weile später werden sich alle an diese produktive und kreative Zeit mit Lächeln erinnern.

Ich wollte schon meinen Bericht beenden, aber beinahe habe ich vergessen, weitere Gründe zu schreiben, Graz zu besuchen. Die zähle ich einfach so auf für Interessierte:

  • weil Avantgarde in der UNESCO City of Design lange Tradition hat;
  • weil Kunst und Kultur schon in der DNA der Stadt stecken;
  • weil ein Besuch in Graz für kleine und große Kinder unvergesslich bleibt;
  • weil im Herzen der Altstadt ein Berg steht;
  • weil eine Zeitreise durch die Jahrhunderte ein Spaziergang ist;
  • weil man zu Recht von der Genusshauptstadt Österreichs spricht;
  • weil „Shopping mit Kultur“ in der City of Design einfach mehr Freude macht;
  • weil auch Ausflüge in die nahe Umgebung so manche Kostbarkeiten bieten.