Hospitation im Voksenopplæringssenteret Sandvika, Bærum

Tag 3

Einen Hauch von Reisebus-Charme versprühen die S-Bahnen in Oslo mit ihren großen und dick gepolsterten Sitzen, die dafür aber auch viel bequemer sind als die Sitze, die ich normalerweise gewöhnt bin. Ein guter Mix aus modern und gemütlich mit einer weiteren norwegischen Eigenheit: Die Bahn ist nämlich in zwei unterschiedliche Abteilungen eingeteilt: mit und ohne „Bedienung“. In jedem Zug fährt ein Schaffner mit, der das Ein- und Aussteigen überwacht und falls nötig auch Fahrkarten verkauft. Sollte man eine Karte benötigen, muss man allerdings dafür im „bedienten“ Abteil sitzen, wenn man keine Strafe zahlen möchte. Zu empfehlen ist aber die Fahrkarte am Automaten oder Informationscenter zu kaufen, da im Zug ein Aufpreis von 100% gezahlt werden muss…ich spreche leider aus Erfahrung (mit dem Aufpreis, nicht mit der Strafe).

Heute gibt es zusätzlich auch noch eine Verspätung von über 30 Minuten obendrauf. Macht aber nichts, da auch drei Minuten vorher ja immer noch pünktlich ist. Dieses Mal kennt mich sogar die Klasse schon im Gegensatz zur Dozentin. Der Unterricht läuft wie gewohnt mit iPad und Bildschirm ab. Diesmal sollen die Teilnehmer ein Bild beschreiben. Das Spannende für mich ist nun, dass die ganze Lektion mit Hilfe eines Programms von der Lehrerin für ihre Schüler zusammengestellt wurde. So gibt es für die Teilnehmer die Möglichkeit auf das Bild zu klicken und sich die einzelnen Wörter vorsprechen zu lassen und das so oft sie möchten. Anstatt laut vorzulesen, gehen die TN aus dem Raum raus und suchen sich einen ruhigen Platz, um ihre Bildbeschreibung einzusprechen/aufzunehmen.
Wie einfach man so eine Lektion zusammenstellt, wird mir mit wenigen Handgriffen von der Dozentin gezeigt. Und das alles während der kurzen Zeit, die die Schüler zur Vorbereitung ihrer Aufgabe bekommen haben. Seit zwei Jahren arbeitet sie nun mit den iPads und ich habe nicht das Gefühl, dass sie zurück möchte.
Als die Schüler wiederkommen wird per Zufall entscheiden, wer seine Aufnahme abspielt. Selbstverständlich mit einem digitalen Drehrad, welches individuell anpassbar ist. Heute waren nur die Namen eingegeben. Aber die Angst davor dranzukommen scheint es nur wenig zu mindern, da sind wohl alle Sprachenlerner gleich.

Aber langsam wird mir bewusst, dass ein digitalgestützter Unterricht nicht einfach nur moderner wirkt, sondern eine große Rolle sowohl im Hörverständnis als auch der Aussprache der Teilnehmer spielen kann. Für die Teilnehmer gehört das iPad einfach mit zum Sprachelernen dazu und hilft ihnen zusätzlich mit ihren Mitschülern und den Dozenten zu kommunizieren. Und das wo, wann und wie oft sie wollen.

Es nähert sich langsam die Mittagspause und meine Ansprechpartnerin holt mich kurz vor Ende des Unterrichts ab, damit wir uns noch einen kaffe holen können. Der ist donnerstags für die Digitalhelfer im hauseigenem Café gratis und heute netterweise auch für mich. Generell ist das Gebäude ein angenehmer Ort zum Lernen und Lehren. Die Räume sind hell und freundlich und die Halle lädt mit mehreren Sitzmöglichkeiten zum Verweilen ein. Zahlreiche Fenster und Glasscheiben tragen zum modernen und freundlichen Ambiente bei. Hier würde ich definitiv auch gerne arbeiten.

Für meinen Vortrag über die Sprachvermittlung in Deutschland konnte ich natürlich gar nicht anders als eine kleine Präsentation mit dem iPad vorzubereiten. Quasi gleich anwenden, was hier die Dozenten täglich benutzen und mir freundlicherweise vorgeführt haben. So entsteht nach einer kurzen Vorstellung ein spannender Dialog auf Norwegisch, Deutsch und Englisch. „Wie viel Zeit bekommen die Teilnehmer, um auf das Niveau B1 zu kommen?“ „Wird die Prüfung tatsächlich noch auf Papier geschrieben?“ „Welche digitalen Medien benutzt ihr?“ usw. Ein bisschen so, als ob Zukunft und Vergangenheit aufeinandertreffen, wobei die höflichen Norweger mir nie das Gefühl geben, hinterherzuhinken…sie kennen die Situation selber, nur eben schon vor ein paar Jahren. Umso praktischer für mich, dass ich hier nicht nur neuen Input bekomme, sondern jetzt auch eine Verbindung habe.

Dank bestem Wetter kann ich dann gutgelaunt bei blauem Himmel und Sonnenschein nach Hause gehen. Auch in Norwegen gibt es selbstverständlich Hochhaussiedlungen, die nie wirklich schön sind, aber hier zumindest eine riesengroße Grünanlage besitzen mit Spiel- und Bolzplätzen und einem Kindergarten. Aber ich glaube, nur hier im Norden läuft einem auch zusätzlich noch ein Reh übern Weg, wenn man nach Hause geht.

Tag 4 + Wochenende

Zeichen von Digitalisierung findet man in Norwegen an jeder Ecke….angefangen damit, dass es an den meisten öffentlichen Plätzen wie Schule, Bahnhof, Kiosk und Co. freies WLAN gibt. Die Wochenfahrkarte für den öffentlichen Nahverkehr ist elektronisch und ich bin scheinbar auch die einzige, die mit Bargeld bezahlt. Dinge wie die Steuerklärung oder der B1 Test werden selbstverständlich ebenfalls am Computer erledigt. Da ist es nur naheliegend, dass Sprache in einem Land, in dem so viele alltägliche Dinge digital behandelt werden, auch genauso und für diese Bedürfnisse vermittelt wird.

Und egal welchen Teilnehmer ich befrage, keiner hat Probleme mit dem iPad umzugehen, obwohl es durch die vielen Möglichkeiten ja auch viele Dinge zu beachten gilt. „Die Steuerung mit dem iPad funktioniert intuitiv und stellt nach kurzer Einführung kein großes Hindernis mehr da“, erzählt mir eine der Dozentinnen. Es gibt sogar Teilnehmer, die jetzt durch die bevorstehende Abgabe der iPads (zur Sommerpause werden diese eingesammelt) das Gefühl haben nicht mehr so schnell lernen zu können wie sie es gewohnt sind. Obwohl ich sicher bin, dass es auch aus anderen Gründen angenehm ist, ein iPad zu haben.

Bezüglich dieses Themas fand ich eine Teilnehmerin aus Syrien interessant. Sie gehört zum ersten Kurs, in dem ich heute hospitieren durfte. Sprache zu lernen fällt ihr nicht leicht, aber ziemlich schnell wird sichtbar, dass sie durch das iPad eine Art von neuer Selbstständigkeit erlangt hat. Nur allzu gerne zeigt sie mir ihre selbsterstellte Präsentation von ihrem Praktikumsplatz in der Kantine. Und obwohl unsere Kommunikation nur bedingt rundläuft, kann sie mir schnell durch passende Bilder oder die Vorlesefunktion erklären was sie meint. Man sieht ihr an, dass sie unglaublich gerne mit dem iPad arbeitet und einen für sie perfekten Zugriff zur Sprache erlangt hat, der sie exakt da unterstützt, wo sie es braucht. Und ich werde das Gefühl nicht ganz los, dass es vielleicht auch wie ein Helfer in die Gesellschaft für sie ist.

Im ersten Kurs geht es heute um das Thema Präpositionen. Dafür benutzt die Dozentin nach einer kurzen Einführung einen herkömmlichen Becher und einen Tisch. So werden die jeweiligen Präpositionen nochmal wiederholt. Danach sollen die TN Fotos mit dem iPad machen und diese richtig beschriften: Koppen står på bordet (Der Becher steht auf dem Tisch). Lustige Idee und viel einfacher umzusetzen als wirklich Bilder zu machen und diese danach ausdrucken zu müssen.
Die TN haben im Übrigen auch einen virtuellen Klassenraum, wo Aufgaben, extra Informationen, Hausaufgaben und Nachrichten zu finden sind. Besonders gefällt mir, dass die Dozentin die Aufgaben sofort kontrollieren kann und je nach TN entweder einen Text oder eine Sprachnachricht zur Kontrolle oder Hilfestellung zurückschicken kann.

Um 10:30 Uhr bin ich bei einer neuen Dozentin, einer neuen Klasse und einer meiner Lieblingsstunden überhaupt: vier Gruppen, vier iPads und ein Quiz. Kahoot macht das ganze möglich und ist eine Lernplattform, die in Norwegen gegründet wurde und Wissen auf spielerische Art vermittelt. So loggen sich alle Spieler ein, bekommen eine Frage gestellt, um dann von vier Auswahlmöglichkeiten die richtige zu wählen. Die Stunde macht unglaublich viel Spaß und weckt nicht nur meinen Spieltrieb, sondern motiviert mich auch die Sprache noch besser zu lernen. Definitiv ein großer Vorteil vom interaktiven Unterricht und wird auch definitiv in meinen Lehrplan mit aufgenommen.

Nach erfolgreich beendeter Stunde und zwei Erstplatzierungen später, wird mir von meiner Ansprechpartnerin noch die gleich nebenan liegende Bibliothek gezeigt mit zusätzliche Spaziergang durch das schöne und gemütliche Sandvika.

Das Wochenende ist dann endlich mit Sightseeing gefüllt. Mit der Bahn geht es bei bestem Wetter in die Osloer Innenstadt. Hafen, Oper, Festung, Theater, Schloss, Rathaus und Einkaufsstraße sind fußläufig gut zu erreichen und lassen die Herzen aller Norwegenfans höherschlagen. Wer besonders Glück hat, kommt sogar in den Genuss eines Wachenwechsels. Ein bisschen außerhalb findet man auch die Skisprungschanze Holmenkollen, von der aus man einen perfekten Ausblick über die Stadt bekommt. Dort wird ebenfalls sichtbar, wie grün Oslo ist und so eine angenehme Mischung aus urbaner Metropole und Natur schafft.